Arbeitsbeispiele/Texte
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Willi Moegle Im Frühjahr 2004 wurde die Ausstellung »Willi Moegle – Die Sachfotografie« im Institut für angewandte Kunst- und Bildwissenschaften, Universität Wuppertal gezeigt. Dazu erschien der Katalog "Willi Moegle, Die Sachfotografie" Hrsg. von Gerda Breuer, Bergische Universität Wuppertal, 2004
Willi Moegle, 1988, © Ursula Wenzel
Willi Moegle – Die drei Dimensionen der Fläche

Von Ursula Wenzel
Typografie
Als unter den Kunsttheoretikern der Streit noch andauerte, ob denn Fotografie als Kunst anzuerkennen sei, war sie als massenhaft verbreitetes Dokumentations- und Gestaltungsmittel bereits fest etabliert.
Zum einen hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg die Bildberichterstattung durchgesetzt. An Stelle der bisher üblichen Zeichnungen wurden nun Fotos in den neuen »illustrierten« Zeitungen veröffentlicht. Zum anderen fand, wenn auch von grundsätzlichen Debatten begleitet, die Fotografie zunehmend in Reklame und Typografie Verwendung.
Im Reklamebereich wurde der Einsatz von Fotografie von Laszlo Maholy-Nagy vertreten, in der Buchkunst von Jan Tschichold vehement gefordert und gegen die traditionellen Buchkünstler verteidigt. Diese sahen eine Unvereinbarkeit zwischen der zweidimensionalen Schrift und der dreidimensional wirkenden fotografischen Abbildung. Tschichold drehte das Argument um, machte den Gegensatz zum Stilmittel: »Gerade auf dem Kontrast zwischen den scheinbar dreidimensionalen Gebilden der Fotos und den flächigen Formen der Schrift beruht die starke Wirkung der Typografie der Gegenwart. (…) …ihre Harmonie beruht gerade auf dem Form- und Farbkontrast.«
Biografie
Dem Zusammentreffen von Typografie und Fotografie begegnet man in Willi Moegles Biografie. – Moegle, 1897 in Stuttgart geboren, wird 1919 an der dortigen Kunstgewerbeschule aufgenommen, nachdem er seine Chemiegrafenlehre durch Einberufung in der Krieg hatte abbrechen müssen. Er möchte nun Grafiker werden und beginnt sein Studium in der Klasse von Professor Ernst H. Schneidler – einem der bedeutendsten Typografen der Zeit. Aber bereits 1922 muss Moegle auch das Studium aufgeben, da sein Stipendium gestrichen wird und er seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Er erhält eine Anstellung beim Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart – als Fotograf.
Mit relativ geringen Vorkenntnissen nimmt er Ausgrabungsgegenstände, Handschriften, Kunstwerke etc. auf und eignet sich dabei auch die fotografische Technik an, so dass er sich 1927 nach einem großzügig bezahlten Auftrag selbständig machen kann. Über seine Kontakte zur Kunstgewerbeschule, zur Akademie und zu jungen Architekten erhält er ausreichend Aufträge als Sach- und Architekturfotograf.
Fotografie
Jetzt zeigt der Deutsche Werkbund in Frankfurt eine Ausstellung mit Schwarz-Weiß-Fotografien des heute 90jährigen Willi Moegle unter dem Titel »Die Sachaufnahme«.
Die Fotografien stammen überwiegend aus den fünfziger Jahren und zeigen Haushaltsgegenstände aus Porzellan, Glas, Keramik, Holz sowie Möbelstücke. In dem vielzitierten Satz vom »weißen Blatt als Schönstem, was es gibt« (W. Moegle) wird nicht nur der Einfluss Schneidlers belegt und die Verbindung zur Typografie hergestellt, er kann auch als wesentlich für Moegles fotografische Auffassung gelten und sei daher noch einmal ausführlich zitiert: »Was mir Schneidler im Hinblick auf vollendete Typografie und Buchdruckkunst beigebracht hat (…), habe ich später mit Vorteil in meine Fotografie übernommen. Ich erfuhr, dass ein leeres weißes Blatt Papier die vollendete Form selbst ist und jede typografische Anordnung im Grunde einer Verletzung dieser ‘reinen Form‘ gleichkam, allerdings einer Verletzung mit dem Ziel, neue Formen zu schaffen. Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen dies in der Typografie geschieht, gelten in gleicher Weise für die Anordnung von Gegenständen auf der Mattscheibe der Kamera. Die leere Mattscheibe entspricht dem weißen Blatt Papier, nur dass statt der Schriften eben Stühle, Tische, Gläser, Kaffeetassen (…) plaziert werden.«
Die von Moegle abgebildeten Gegenstände zeichnen sich alle durch klare Formen und Nichtfarbigkeit aus. Abgebildet werden sie in ihrer eigenen Sachlichkeit, Material und Form werden präzise und plastisch wiedergegeben; ihre Funktion nur insoweit, als sie den Gegenständen selber innewohnt. Stapelbare Tassen oder Stühle werden zum Beispiel gestapelt fotografiert. Kommen Gebrauchsattribute hinzu, wie zum Beispiel bei den Aufnahmen von Aschenbechern – hier Zigaretten, dort eine Zigarre –, so wird der Hinweis auf den Gebrauch zurückgenommen, indem Zigaretten beziehungsweise Zigarre zum Bestandteil der Bildkomposition gemacht werden. Deutet nichts auf ihre zukünftige Verwendung, weder eindeutige Attribute noch die Umgebung, so sind die Gegenstände aber doch nicht isoliert vor einem indifferenten Hintergrund zu sehen. Auch werden sie oder ihre Details nicht überdimensioniert, so dass damit bereits ein »Blatt« gefüllt wäre.
Ausnahmen bilden die frontale Sicht auf ein Sägeblatt und zwei Fotos von Jenaer Glasgeschirr. Ihre Transparenz und zarten Spiegelungen wären durch einen gestalteten Hintergrund verdorben. Fast senkrecht von oben gesehen, deuten perspektivisch feiner werdende Linien Raum an.
Ausgangspunkt ist für Moegle die zweidimensionale Fläche, wenn es sich auch eigentlich um die Darstellung dreidimensionaler Gegenstände handelt. Der Reiz seiner Aufnahmen liegt in der Art, wie er Fläche und Raum gegeneinander ausspielt. Den Kontrast, den Tschichold in der Kombination von Fläche/Schrift und Raum/Fotografie ausmacht, erhebt Moegle zum Gestaltungsprinzip seiner Fotos.
Die Darstellung von Dreidimensionalität ist der Fotografie ohnehin inhärent, obwohl ihr materieller Träger mit zwei Dimensionen auskommen muss. Mit fotografischen Mitteln Flächen zu erzeugen, bedarf bewusster Gestaltung, die noch über einen »grafischen« Bildaufbau hinausgeht. Es handelt sich im strengen Sinne um einen typografischen Ansatz, wenn Moegle die Mattscheibe als ein weißes Blatt Papier begreift und nicht als leeren Raum. Und dies hat Konsequenzen. Dem Raum kommt eine konzeptionelle Nachträglichkeit zu, gegenüber der Flächenaufteilung.
Schon von weitem betrachtet fällt bei Moegles Fotografien die Ambivalenz von Flächenkomposition und räumlicher Wirkung auf. Die Balance in der Verteilung heller und dunkler Partien bedeutet die Flächenkomposition, ihr Zusammenwirken erzeugt räumliche Illusion. Technisch gesehen benutzt er zwei Methoden der Flächenaufteilung. Die erste ist, von vorneherein den Hintergrund aus weißen, grauen oder schwarzen Flächen zusammenzusetzen, die zweite, durch Lichtführung auf einem homogenen Hintergrund helle und dunkle Partien herzustellen. Beide Methoden treten auch kombiniert in einem Bild auf, um zum Beispiel durchgehende Linien, harte Konturen in weichere Lichtkonturen aufzulösen. Ist die erste Methode eher geeignet, Assoziationen an einen konkreten Gegenstand, Tisch, Wände etc. zu wecken und durch Lichtführung eine ungegenständliche räumliche Wirkung zu erzielen, so versteht es Moegle durchaus, durch Lichtführung Assoziationen an einen Tisch zum Beispiel hervorzurufen, beziehungsweise mit Flächenaufteilung ungegenständliche Raumwirkung zu erreichen.
Moegle verzichtet vollständig auf die fotografischen Möglichkeiten, Raumwirkung durch Anwendung der Schärfentiefe oder perspektivischen Lichtabfalls zu bewirken. Gestaltung durch Schärfe und Unschärfe würde allerdings die Strukturierung des leeren Raumes bedeuten, sie würde die Zweidimensionalität des Bildträgers zu überspielen suchen und damit ein Kontrastelement aufgeben.
Beim Betrachten des eigentlichen Bildgegenstandes tritt die räumliche Wirkung der Gesamtkomposition zugunsten der Dreidimensionalität des Objektes zurück. Wie dieses Objekt, beziehungsweise diese Objekte plaziert sind, verweist jedoch wieder auf die Fläche. Sie werden tatsächlich wie Schriftzeichen auf die zwei Dimensionen verteilt. Und dennoch unterstreicht diese an der Fläche orientierte Situierung der Objekte ihre Plastizität, weil sie verhindert, dass sie gerade wegen ihrer prinzipiellen Andersartigkeit – Dreidimensionalität – nur noch als Fläche – als einheitlich begründete Differenz – wahrgenommen werden können.
Topografie

Schade, dass der Werkbund mit dieser interessanten Ausstellung nicht an die Tradition seiner großen Ausstellung »Film und Foto« von 1929 in Stuttgart wenigstens im Kleinen anknüpft und sich um Zusammenhänge bemüht. Kommentarlos werden Moegles Fotografien zu geschichtslosen, mehr oder weniger dem herrschenden Geschmack ausgelieferten Objekten. Jochen Rahe, Geschäftsführer des Deutschen Werkbundes, ging bei der Eröffnung der Ausstellung zwar auf den Vorwurf ein, der Werkbund bemühe sich zu wenig um die Fotografie, schloss das Thema aber schnellstens mit einem Verweis auf die Ausstellung von 1929 ab.
Dabei hat Willi Moegle, der 1947 dem Deutschen Werkbund beigetreten war, doch selber auch beklagt, dass seinen Arbeiten dort kein großes Interesse entgegengebracht worden war. »Vom Werkbund habe ich menschliche und geistige Anregungen erfahren. Aber es ist merkwürdig, dass eine Anzahl der Werkbundmitglieder, die Firmenbesitzer, zum Teil nicht sehr gute Werbung und Inserate benutzen. Diese Diskrepanz habe ich oft erlebt, und aus dem Werkbund habe ich wenige Kunden gehabt.«
Man hätte in Zusammenhang mit dieser Fotoausstellung zum Beispiel danach fragen können, ob Sachfotografie und Werbefotografie heute überhaupt noch etwas gemeinsam haben.
Abbildungen von oben nach unten:

Zigarettenascher Parabol
Entwurf Trude Petri-Raben, 1953
Foto Willi Moegle, 1954

Sammlung Rintelen, drei Dosen
Foto Willi Moegle, 1953

Sägeblatt, Firma Ledermann
Foto Willi Moegle, 1960

Essgeschirr Schönwald 411
Entwurf Heinz Löffelhardt
Foto Willi Moegle, 1954

Aschenbecher, Jenaer Glas
Firma Schott, Entwurf Heinz Löffelhardt
Foto Willi Moegle, 1958

Sofa 5825
Entwurf Rudolf Frank
Foto Willi Moegle, o.J.

Archiv Rat für Formgebung, Frankfurt
Besprechung der Ausstellung »Die Sachaufnahme«, Fotografien von Willi Moegle
Deutscher Werkbund, Frankfurt am Main, veröffentlicht in: Design Report
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